Kategorie: Politik

  • Lernen von Mamdani

    Was kann die Linke von Mamdani lernen, wurde irgendwo gefragt. Die Antwort kann nur lauten: gar nichts. Die Politik der Weltgesellschaft ist ja nicht deshalb in zahllose Segmente, vom Nationalstaat bis zur Kommune, segmentiert, weil sich alles eins zu eins von a nach b übertragen ließe.

    Wollte man lernen um des Lernens willen und nicht für strategische Erwägungen politischer Flügel, so könnte man lernen, wie furchtbar diese ewige Lotterie der Parteipolitik ist, gerade in den Vereinigten Staaten. Immer ist man auf der Suche nach der nächsten übermenschlich talentierten politischen Persönlichkeit, die vor jeder Kamera, auf jeder Bühne und in jeder Situation eine gute Figur macht, on Message bleibt und nur ja keine Fehler begeht.

    Obama war dies, Trump auf seine Art natürlich auch, AOC ist es bestimmt und Mamdani ebenfalls. Das ist Parteipolitik in Reinform: Elitenbildung, Auslese und Rekrutierung von Spitzenpersonal. Den übrigen Millionen, im Weltmaßstab (wie gesagt, Systemreferenz ist die Politik der Weltgesellschaft) sogar Milliarden, bleibt nur das Zuschauen, Staunen und Bewundern.

    Die Frage, was eine emanzipatorische Politik, die Demokratie weiter denkt und weniger Repräsentation zu wagen wagt, lernen könnte, wäre hingegen eine, die sich zu stellen lohnt.

  • 200729: #Yolaf statt #Nolaf

    Ein schönes, obskures Beispiel für die kulturellen Vorzüge von Quelloffenheit und Austausch:

    According to Malone, most of her peers don’t own microphones, monitors, or the instruments they record with; it’s all loaned out by EMS via a trust-based system. Additionally, much of the code that artists create with SuperCollider, a programming language and environment used by many drone musicians in Stockholm, is open source and available for all to use.

    Aus einem Feature bei Bandcamp über die Drone-Musikszene in Stockholm

    Das Innenleben der Sozialdemokratie könnte mir ja eigentlich egal sein, als ehemaliges, langjähriges Mitglied wird es das aber wohl nie. Daher fand ich das Twitter-Kampägnchen gegen Olaf Scholz als möglichen Kanzlerkandidaten heute milde interessant.

    Olaf Scholz hätte seinen drei Vorgängerkandidaten Steinmeier, Steinbrück und Schulz einen wesentlichen Punkt voraus: Er hat bereits Wahlen gewonnen, und zwar nicht zu knapp.

    Überdies wird der nächste SPD-Kandidat erstmals seit fünfzehn Jahren nicht gegen Angela Merkel antreten, die in der Mitte bis ins linke Lager hinein über die Jahre immer mehr an Popularität gewonnen hat. Scholz wäre ein ideales Angebot für alle Wähler*Innen, die sich 2021 Verlässlichkeit und Seriösität wünschen, denn die CDU wird so ein Angebot nach derzeitigem Stand nicht unterbreiten können – am wenigsten mit meinem (inzwischen unwahrscheinlichen) Wunschkandidaten Merz.

    Sicher ist Scholz kein linker Kandidat. Aber die SPD hat noch nie Wahlen mit links gewinnen können. Das kann man bedauern, ist aber so. Mit Scholz würde sie zumindest zeigen, dass sie noch den Willen hat zu gewinnen, so unwahrscheinlich das gerade erscheinen mag.

  • Politik und Internet

    Schon vor rund zwei Jahren habe ich das Buch The Big Disconnect: Why the Internet Hasn’t Transformed Politics (Yet) von Micah L. Sifry gelesen und weil ich gerade auf einige Zitate und Anstreichungen stieß, die zu Anschlussgedanken führten, hier ein paar Sätze dazu:

    this is a central point of this book, while the barrier to entry to public media has been lowered by the Internet, the proliferation of digital tools and behaviors has not made participation in decision-making or group coordination substantially easier.

    Es ist eben etwas anderes, niederschwellig und günstig zu beliebig großen Öffentlichkeiten kommunizieren zu können und in/mit diesen Öffentlichkeiten auch zu verbindlichen Entscheidungen zu gelangen. Es ist eben kein Unfall, dass wir uns als Gesellschaft große, nicht eben billige und aufwändige politische Apparate mit Parlamenten, Ministerien, nachgeordneten Behörden, Parteien leisten, um diese Fähigkeit der Entscheidungsfindung (und – durchsetzung) aufrechtzuerhalten. Der alte Traum, das Internet könnte auch in politischer Hinsicht alte Barrieren niederreißen, ist zwar nicht ausgeträumt, harrt aber auch noch seiner Realisierung.

    We are a generation into the Networked Age, and our public infrastructure of schools, libraries, parks, and government institutions, all places where “we the people” can congregate in the flesh, have not been replicated online.

    Das Internet hat die Mobilisierung zu Demonstrationen erleichtert und es hat neue Instrumente wie Online-Petitionen geschaffen. Ich verhöhne Petitionen gerne als untertänigste Form  der Partizipation, weil sie den Gesetzgeber lediglich bitten, etwas zu machen; das ist nicht ganz richtig und vor allem gemein. Aber wo Petitionen vor allem gebraucht werden, um Mandatsträger mit Kommunikation zu überschütten, führt das mitunter zu einer Art von Rebound Effect:

    The modern Tragedy of Advocacy is that all this increased share-your-voice-i-ness of citizens with Congress has actually resulted in more reliance on specialists and less on constituents than ever before. Congressional staffs often need those specialists (typically the dreaded “lobbyists” we love to hate) simply to distinguish signal from noise.

    Entscheidungsbefugnis hat das Internet den Bürgerinnen jedenfalls nicht verliehen. Lediglich Instrumente wie Liquid Feedback, bekannt geworden durch die Piratenpartei, stellen prinzipielle (technologische) Möglichkeiten dar. Da, wo dieses Werkzeug partizipativ, etwa zu Haushaltsfragen oder für die Kommunalpolitik eingesetzt wurde, scheiterte es bislang an mangelnder Teilnahme.

    Das lässt den Schluss zu, dass das Werkzeug nicht gut genug ist (möglich, denn Liquid Feedback gilt als ziemlich komplex), oder, dass gar kein Wunsch nach Partizipation besteht – sondern nach Repräsentation, die einen von der Last der Partizipation gerade befreit.

  • Kommunen als Labore für ein modernes Wahlrecht – Mehr Demokratie legt Gesetzentwurf vor

    Website der Buergeraktion Mehr Demokratie e.V. fuer Volksentscheide auf allen politischen Ebenen. Aktuelle Informationen, Argumente und Hintergruende zur direkten Demokratie.

    Quelle: Kommunen als Labore für ein modernes Wahlrecht – Mehr Demokratie legt Gesetzentwurf vor

  • Sehr interessant: Make Space Great Again – Weltraumpolitik unter Trump von Hintergrund – Deutschlandfunk
    https://www.deutschlandfunk.de/weltraumpolitik-der-usa-make-space-great-again-100.html

  • Die Sozialdemokratie hat das Sprachgefühl eines Aktenschrankes. Wir fallen fast immer auf die sprachlichen Tricks der Konservativen rein. Seit CDU und CSU von „subsidiär Schutzberechtigen“ sprechen, tun wir das auch. Überall: Im Bundestag, in Bürgerversammlungen, WhatsApp-Nachrichten und E-Mails.

    Monsterbegriffe: Wie die SPD am Nasenring durch die Manege gezogen wird 

  • Say X out loud

    Es gibt eine seltsame, Welt, in der sich Leute, die allem Anschein nach Mathematiker und/oder Ökonomen sind, mit im weitesten Sinne soziologischen Themen befassen. Ich habe etliche Texte aus dieser Welt auf Wiedervorlage, die ich alle paar Monate noch ein bisschen besser als zuvor (also kaum) zu verstehen versuche.

    Ein Zitat:

    The moral is that the mere act of saying something publicly can change the world—even if everything you said was already obvious to every last one of your listeners.

    Aus einem Vortrag von Scott Aaronson bei einem high-school (!) summer program. Und aus dem gleichen Text:

    as soon as you say X out loud, the other person doesn’t merely learn X: they learn that you know X, that you know that they know that you know X, that you want them to know you know X, and an infinity of other things that might upset the delicate epistemic balance.

    Das finde ich super – vor allem aufgrund der Einfachheit der Ursache (jemand sagt etwas) und dem ganzen Strauß an Wirkungen.

  • Bisheriger Effekt des NetzDG: Es wird noch mehr über die AfD und ihre Entgleisungen gesprochen.

  • Das schwache Denken üben

    „Wir sollten uns im »schwachen Denken« üben.“ Ein Gedanke aus dem Büchlein Zehn Regeln für Demokratie-Retter von Jürgen Wiebicke, der mich sehr anspricht. Damit greift er einen Begriff von Gianni Vattimo auf:

    „Fünfhundert Jahre nach Thomas Morus‘ „Utopia“ mögen wir zwar noch den nostalgischen Wunsch nach einem großen Wurf haben, aber die Erfahrung des Zerschellens von großen Erzählungen ist für uns postmoderne Menschen die intensivere.“

    Das „starke Denken“ gehöre der Vergangenheit an. Schließlich seien  „die starken Denker von heute, die Identitären und Islamisten ja gerade das Problem„.

    Bequem ist das schwache Denken indes nicht:

    Jeder sollte sich daher in regelmäßigen Abständen die Kontrollfrage stellen, wann man zuletzt eine alte Überzeugung aufgegeben hat. Wer sich womöglich gar für seinen Meinungsstolz rühmt, hat die Tugend des schwachen Denkens nicht begriffen.