Kategorie: Bücher

  • Hans Rosling – Factfulness

    Ten Reasons We’re Wrong About The World – And Why Things Are Better Than You Think lautet der vollständige – und etwas klickbaitige Titel dieses Buches.

    Hans Rosling, der im Februar 2017 während der Arbeit an diesem Buch verstarb, war Professor für Internationale Gesundheit. Dieses Buch bündelt seine Anstrengungen im Kampf gegen die Vorteile, die wir im globalen Norden/dem Westen/Der entwickelten Welt von der übrigen Welt haben.

    Immer wieder verweist Rosling auf einen Katalog von Fragen zum Stand der Entwicklung der Welt, den er viele Male vor unterschiedlichsten, zumeist aber hochgebildeten Publika gestellt hat, etwa zu Impfraten, der Lebenserwartung oder der Bevölkerungsentwicklung.

    Die Antworten waren dabei stets in einem Ausmaß falsch, dass sogar eine Zufallsauswahl (aus den Multiple Choice-Antworten) eine bessere Quote erzielt hätte. Das Bild von der Welt, das solchen Antworten zugrunde liegt, folgert Rosling schlüssig, ist also systematisch falsch.

    Tatsächlich haben alle Teile der Welt in den vergangenen Jahrzehnten gewaltige Fortschritte gemacht. Es gibt weniger Armut, weniger Gewaltopfer, besseren Impfschutz, mehr Kinder, darunter mehr Mädchen genießen Schulbildung. Things are indeed better than we think.

    Rosling beschäftigt sich aber vor allem mit den Gründen, aus denen wir unser desolates Bild vom Rest der Welt aufrechterhalten. Warum wir etwa lineare Entwicklungen gegen alle Evidenz glauben, in die Zukunft fortschreiben zu können. Oder warum Mittelwerte mit Vorsicht zu genießen sind. Das geht mitunter in die Richtung von Thinking fast and slow. Aber Rosling erkennt auch die simple Arroganz und den Rassismus, wenn Menschen und Völkern Afrikas das Recht auf Entwicklung und Fortschritt schlichtweg abgesprochen wird.

    Ein herausragend gutes und sehr wichtiges Buch. Rosling bezeichnet sich selbst weder als Pessimisten noch als Optimisten, sondern als Possibilisten. Ich für meinen Teil bin für diese Injektion an Optimismus sehr dankbar.

  • Ian McDonald – Luna II (Wolf Moon)

    Ja, der Titel „Wolf Moon“ geht schon arg in die etwas peinliche Selfpublishing-Richtung, führt aber eigentlich in die Irre.

    Irgendwo in dieser Fortsetzung von Luna sagt jemand sowas wie „Middle Management is invading the moon“ – wohl bemerkt angesichts einer tatsächlichen Invasion des Mondes. Andere Figuren werden nicht müde zu erklären, dass der Mond keine Nation und keine Gesellschaft, sondern eine Sonderwirtschaftszone sei. Ein Staatsstreich wird dann folgerichtig als „a Change of Management“ abgetan.

    Diese Aussagen charakterisieren sehr gut, was die beiden bisherigen Luna-Bände ausmacht: Sie sind furchtbar unglamourös. Und das ist nicht folgenlos, denn mir erschwerte es bei der Lektüre vor allem, die diversen Figuren und Locations auseinanderzuhalten. Den Game of Thrones-Bänden (mit denen Luna verglichen wird) gelingt das bedeutend besser.

    Weder weiß ich, wer die ganzen Mackenzies oder Suns sind (die Fraktionen, die aus Australien bzw. China stammen), noch interessiere ich mich so sehr für sie, dass ich motiviert wäre, im Anhang nachzuschlagen (selbstverständlich gibt es einen Anhang der „Dramatis Personae„).

    So hinterließ der zweite Luna-Band einen schon ziemlich ernüchternden Eindruck. Ob ich den abschließenden dritten Teil lesen werde, weiß ich noch nicht. Auf jeden Fall brauche ich jetzt erstmal etwas Abwechslung von dieser mondstaubtrockenen Econo-Science Fiction.

  • Ian McDonald – Luna

    Ich schätze es, wenn Science Fiction ökonomisch fundiert ist. Nicht einfach nur durchs Weltall düsen, weil man es kann und Planeten besiedeln, weil’s da so schön ist und Sternenreiche unterhalten, weil die halt Klingonen doof sind, sondern weil es die Sachzwänge von Knappheit und Märkten eben erfordern. Das mag ich. Machen aber nicht viele.

    Luna, Ian McDonalds Auftakt seiner Mondtrilogie, treibt die Ökonomie hingegen bis zum kryptokapitalistischen Exzess, wo jeder Mondbewohner sein Pensum an Luft, Wasser und Daten permanent ins Blickfeld projiziert bekommt. Besiedelt wurde der Erdmond wegen seiner Rohstoffe und die Leute suchen allen widrigen Umständen zum Trotz dort Arbeit, weil sie auf der Erde keine derart gut bezahlte finden. Das ist auf seine brachiale Art schon alles ziemlich toll.

    Zugleich ist Luna eine äußerst realistische Near Future-Scifi, an der nahezu nichts vollkommen abwegig wirkt. Städte, Magnetschwebebahnen auf dem Mond? Wenn wir Maschinen hinschicken, die sie uns ausgraben und hinbauen, warum nicht?

    Wovon Luna aber handelt, ist das gesellschaftliche Leben auf dem Mond, und das fordert dem Leser bedeutend mehr ab, als das technologische World Building. Besiedelt und erschlossen wurde unser Trabant nämlich von fünf Familien, die jeweils aus Russland, China, Australien, Ghana und Brasilien stammen. Das ist zwar kulturell angenehm breit gestreut und lässt Europa und Nordamerika erfreulicherweise komplett beiseite, wirkt aber leider auch nicht besonders plausibel.

    Vor allem muss es sich aber den inzwischen eher unrühmlichen Game of Thrones-Vergleich gefallen lassen, denn die verschiedenen Herkünfte der Familien dienen vor allem dazu, sie mit ihren jeweiligen kulturellen Eigenheiten auszuschmücken. So manches Mal fühlte ich mich aber auch an Dune erinnert und sogar an den alten Heinlein-Schinken The Moon is a harsh Mistress.

    Das alles ist aber immer noch nur World Building. Worum geht es in Luna also? Nun, natürlich ums Geschäft, und zwar unter den Wild West-Bedingungen, die auf dem Mond herrschen, Politik durch Eheschließungen (und zwar per ‚Ehe für alle‘, so man dies will), eine Unabhängigkeitsbewegung, KIs, Intrigen. Und wenn das in den nachfolgenden Bänden alles etwas zackiger erzählt wird, wird Luna eine exzellente Trilogie sein.

    Zur Fortsetzung geht es hier.

  • Peter Modler – Mit Ignoranten sprechen

    Zufallsfund im heimischen Regal und eine hilfreiche Einordnung verschiedener Kommunikationsstile. Sicherlich werde ich jetzt nicht meine Gewohnheiten nachhaltig ändern (ich kommuniziere gerne und auch weiterhin horizontal), aber interessant, spannend und angenehm, weil angemessen kurz.

  • Matthias Quent – Deutschland Rechts Außen

    Ein Spontankauf, der allein daher rührt, dass ich dem Autoren zufällig auf Twitter folge, aber ein überaus lohnenswerter Kauf. Matthias Quent gibt einen Überblick vom wieder erstarkenden Rechtsextremismus in vielen seiner Ausprägungen.

    Mir als politisch einigermaßen interessierter Person war zwar vieles davon bekannt, aber: Nicht in derart konzentrierter Form, nicht derart fundiert zueinander in Zusammenhang gebracht und vor allem nicht aus der gesamtgesellschaftlichen Perspektive, die der Autor hier einnimmt.

    Denn immer wieder verweist Quent darauf, wo Deutschland mehrheitlich steht, nämlich deutlich auf der fortschrittlichen, progressiven Seite, um zu illustrieren, womit wir es mit der erstarkenden Rechten zu tun haben: „mit einem erbitterten Abwehrkampf eines zutiefst pessimistischen Milieus“.

    Damit wird die Gefahr des Rechtsextremismus nicht heruntergespielt, sondern er wird – wohlbegründet – für besiegbar erklärt. Wenn die Mehrheitsgesellschaft sich entscheidet zu handeln und wenn die Politik sich durchringt, richtig zu entscheiden. Daher ist Deutschland Rechts Außen zumindest für mich auch ein grandioser Motivator und Mutmacher.

    Es hat sich der Eindruck verfestigt, dass rechtsradikale Orientierungen zunehmen. Doch das stimmt nicht. Die Rechtsradikalen in der Gesellschaft werden nicht mehr, sondern weniger. Aber sie sind extrem laut.

  • David Koepp – Cold Storage

    Ein mäßig unterhaltsamer SciFi-Thriller, der vom Future Ltd.-Podcast in höchsten Tönen gelobt wird, den Anspruch aber kaum einhält.

  • Erich Kästner – Der Gang vor die Hunde

    Von diesem Buch hatte ich noch nie gehört (tatsächlich glaube ich, dass ich Kästner praktisch nur mit Kinderbüchern assoziiert hatte), bis ich von einer kürzlich abgedrehten Verfilmung des Stoffes las:

    Gerade hat Dominik Graf, einer der besten zeit­genös­si­schen Filme­ma­cher, »Fabian« abgedreht, seinen neuen Film, eine freie Adaption von Erich Kästners Roman »Fabian oder Der Gang vor die Hunde«.

    Wie umgehen mit Anti-Demo­kraten? Der schwache Gegner Mendig und die Konse­quenzen seines Falls für den deutschen Film. Eine erste Bilanz erfolg­rei­cher Banden­bil­dung – Cinema Moralia, Tagebuch eines Kino­gän­gers, 204. Folge bei Artechock

    Die Veröffentlichungsgeschichte des Romans ist etwas kompliziert, was daran liegt, dass der Stoff außerordentlich explizit ist, für die zwanziger/dreißiger Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts geradezu pornografisch, so dass der Verlag ihn nicht in der vorgelegten Form abdrucken wollte. Das wird im Anhang dieser Edition ausführlich erklärt.

    Es gelingt Kästner beängstigend gut zu schildern, wie die vielfach inszenierten „Goldenen Zwanziger“ Berlins in den Nationalsozialismus kippen. Wie sich die Gewalt und Rohheit Bahn bricht. Und die Lethargie der Protagonisten dem nichts entgegensetzen will.

    Ich bin ebenfalls gespannt auf die Verfilmung. Vor allem frage ich mich, ob der Film im Stile eines „Babylon Berlin“-Brimboriums ebenfalls in der Zwischenkriegszeit spielen wird, oder, ob man ihn in die Jetztzeit verlegt (was ich mir sehr gut vorstellen kann, aber nicht sicher bin, was ich davon halten würde).

    Vielleicht ist das noch nicht deutlich geworden, aber dieses Buch ist außerordentlich gut. Eigentlich möchte ich es direkt nochmal lesen.

    Lernt schwimmen!

  • Margaret Atwood – The Testaments

    Sehr überrascht war ich von der Nachricht einer Fortsetzung des großartigen Handmaid’s Tale vor einigen Wochen, die ich dann auch prompt vorbestellte und zu lesen begann, nachdem ich mit dem leidigen Gottkaiser des Wüstenplaneten fertig war.

    Der Report der Magd wurde ja überaus erfolgreich in Serienform gegossen. Das Resultat kenne ich nicht, frage mich aber, ob es Anlass für diesen Fortsetzungsband war, ein anderer fällt mir nämlich nicht ein. Denn leider tut The Testaments dem Report nicht gut, wie so oft, wenn gutes Worldbuilding weiter unnötig ausgeschmückt wird.

    So lässt das weitere Ausleuchten der Hierarchie und Arbeitsteilung der christlich-fundamentalistischen Theokratie Gilead diese umso holzschnittartiger und auch unplausibler wirken. Vor allem aber der Kern der Geschichte, der sich um den Transport von Informationen dreht, lässt viel Plausibilität vermissen.

    Die gute Nachricht ist, dass Der Report der Magd (oder eben The Handmaid’s Tale) eine der besten Dystopien der literarischen Welt bleibt und wer sie noch nicht gelesen hat, sollte dies unbedingt nachholen. Zur Serie kann ich nichts sagen. The Testaments ist vermutlich eher etwas für Komplettisten.

  • Frank Herbert – God Emperor of Dune

    Der nächste Band aus dem Dune-Zyklus und zugleich der, mit dem ich, wenn ich mich recht erinnere, vor Jahren die Lektüre abgebrochen habe. Zu unzugänglich war und ist diese Geschichte, die im Wesentlichen aus Audienzen bei oder Gesprächen mit dem titelgebenden Gottkaiser Leto besteht, der seit 3500 Jahren ein gezielt zur Stagnation gebrachtes Reich regiert und sich dabei langsam in einen Sandwurm verwandelt. So there …

    Völlig unklar ist mir, was Herbert zu dieser Erzählung veranlasst, inspiriert hat, was er mir als Leser mitteilen wollte oder was die Erzählung zu seiner Zeit vor rund fünfzig Jahren ausgesagt haben mag. Ob es um eine bestimmte politische Philosophie oder eine Lektion in Ökologie oder um Religion geht. Das macht natürlich auch einen Teil der Faszination aus, die zweifellos besteht. Und ganz sicher werde ich den Zyklus zu Ende lesen. Unbedingten Vorrang hat aber M. Atwoods Fortsetzung des Reports der Magd; die liegt schon seit Wochen auf dem Kindle.

  • Frank Herbert – Children of Dune

    Je weiter ich in der „Wüstenplanet“-Saga vordringe. desto mehr Sorgen mache ich mir um die anstehende Verfilmung, die wohl (hoffentlich) sehr frei mit dem Stoff umgehen wird. Auch die Children of Dune variieren das White Savior-Thema nämlich nur sehr begrenzt, da ist nicht viel vom Subverting the Trope. Politik und Herrschaft beschränken sich auch hier auf Reiche mit Imperatoren (oder korrumpierten Regentinnen).

    Vielleicht am faszinierendsten an der Saga ist, wie wenig sie Science Fiction sein will: Eine Space Opera, die nahezu nur auf einem Planeten spielt; eine praktisch anti-technologische Gesellschaft, fast so als wollte Herbert die Geschichte eigentlich in der frühen Neuzeit spielen lassen, brauchte aber Raumschiffe (auch überaus untypisch: SciFi ohne ausufernde Schilderungen vom Aussehen ihrer Raumschiffe!).

    Anstelle dessen jede Menge Philosophie über Macht und Religion, die oft substanzieller klingen will, als sie ist – und ebenso viel intrigante „Pläne innerhalb von Plänen“, daher ja meine Vermutung, dass die Verfilmung nicht zuletzt auch wegen des Game of Thrones-Erfolgs ansteht.