Ausnahmen vom Offenbarungsverbot im Selbstbestimmungsgesetz

Seit dem 1. November 2024 gilt das von der Ampelkoalition beschlossene Gesetz über die Selbstbestimmung in Bezug auf den Geschlechtseintrag (Selbstbestimmungsgesetz, SBGG).

Die vom Bundesministerium des Innern betriebene Website personenstandsrecht.de fasst die Zielsetzung folgendermaßen zusammen:

Das Selbstbestimmungsgesetz macht es für transgeschlechtliche, intergeschlechtliche und nichtbinäre Menschen einfacher, ihren Geschlechtseintrag im Personenstandsregister und ihre Vornamen ändern zu lassen. Die Änderung erfolgt durch eine Erklärung gegenüber dem Standesamt. Eine gerichtliche Entscheidung über die Antragstellung ist nicht mehr erforderlich.

In § 13 wird das sogenannte Offenbarungsverbot festgeschrieben, wonach die bis zur Änderung eingetragene Geschlechtsangabe und die bis zur Änderung eingetragenen Vornamen nicht ohne Zustimmung offenbart oder ausgeforscht werden.

Ausnahmen vom Offenbarungsverbot

Der Paragraph räumt Ausnahmen ein:

Satz 1 gilt nicht, wenn

  1. amtliche Register oder amtliche Informationssysteme personenbezogene Daten zu dieser Person enthalten und im Rahmen der jeweiligen Aufgabenerfüllung von öffentlichen Stellen die Verarbeitung von Daten nach Satz 1 nach anderen Rechtsvorschriften erforderlich ist,
  2. besondere Gründe des öffentlichen Interesses eine Offenbarung der Daten nach Satz 1 erfordern oder
  3. ein rechtliches Interesse an den Daten nach Satz 1 glaubhaft gemacht wird.

Was ist eine Ausnahme?

Diese von der „Ampelkoalition“ aus SPD, FDP und Grünen vorgesehenen Ausnahmen stellen sich mir (wohlbemerkt kein Jurist) in der Gesetzesbegründung als durchaus weitreichend dar:

Das Offenbarungsverbot gilt nicht für amtliche Register und Informationssysteme [..]. Es gilt auch nicht, wenn besondere Gründe des öffentlichen Interesses ein Offenbaren erfordern oder ein rechtliches Interesse glaubhaft gemacht wird [..].

Ferner lägen besondere Gründe des öffentlichen Interesses vor, wenn die Kenntnis von Eintragungen unter den früheren Vornamen erforderlich ist.

Aber: Ein Offenbaren „erfordern“ könne ein öffentliches Interesse nur, wenn es gegenüber dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht der betroffenen Person überwiegt.

Die Verordnung des Innenministeriums

Jedenfalls gedenkt das inzwischen CSU-geführte Innenministerium von diesen – von der „Ampel“ geschaffenen – Ausnahmetatbeständen nun Gebrauch zu machen:

Der Referentenentwurf einer Verordnung zur Umsetzung des Gesetzes über die Selbstbestimmung in Bezug auf den Geschlechtseintrag im Meldewesen dockt an die oben zitierte Ausnahme für amtliche Register und Informationssysteme an

Ihr zufolge

[..] wird künftig neben dem neuen Geschlechtseintrag auch der bisherige Geschlechtseintrag an das Meldewesen übermittelt. Das ist erforderlich, damit Personen in verschiedenen amtlichen Registern und amtlichen Informationssystemen von Datenempfängern identifiziert werden können und ihre Identität nachvollziehbar ist. Dies bedeutet, dass die bis zur Änderung des Geschlechtseintrags und der Vornamen eingetragenen Angaben verarbeitet werden dürfen.

Die Petition 183950

Gegen diesen Verordnungsentwurf wurde eine Petition beim Deutschen Bundestag eingebracht: Keine Führung eigener Register zur Erfassung von trans* und nichtbinärer Personen.

Sie fordert, dass keine eigenen Register zur Erfassung von trans* und nichtbinären Personen geführt werden dürfen. Jegliche Pläne zur Erfassung von Minderheiten in Sonderregistern seien unverzüglich zu unterlassen. Die Warnung, der ich mich uneingeschränkt anschließe, lautet:

Historisch gesehen wurden Minderheitenlisten immer wieder als Werkzeug staatlicher Repression eingesetzt. In einer offenen Demokratie dürfen wir solchen Rückschritten nicht tatenlos zusehen. Die Menschenwürde (Art. 1 GG) und das Diskriminierungsverbot (Art. 3 GG) sind Grundpfeiler unseres Grundgesetzes, die nicht zur Debatte stehen dürfen.

Probleme mit der Petition

Probleme sehe ich bei dieser Petition – abseits des Umstands, dass es eine Petition ist – mehrere: Mindestens ungeschickt ist die Sprachregelung von eigenen Registern und Sonderregistern. Solche sieht zumindest der oben zitierte Verordnungsentwurf gar nicht vor. Das ist aber unerheblich, denn all diese Daten sind schon jetzt und – erfolgreiche Verwaltungsdigitalisierung vorausgesetzt – in Zukunft erst Recht über den Standard XMeld und entsprechende Fachverfahren abrufbar.

Hinzu kommt, dass das Selbstbestimmungsgesetz eine recht eindeutige Rechtsgrundlage für das Vorgehen des Innenministeriums liefert. Ich weiß nicht, ob es Proteste gegen die Ausnahmetatbestände gab, als der Gesetzentwurf im parlamentarischen Verfahren war. Erinnern kann ich nur Jubelmeldungen aus dem linksliberalen Raum. Jetzt jedenfalls kommt der Protest zu spät.

Die Zielsetzung der Petition müsste also eigentlich eine Reform des Selbstbestimmungsgesetzes sein – auch wenn sie dies nicht explizit fordert. Der Petitionsauschuss wird sie sicher so lesen. Wer erwartet aber von dieser „großen“ Koalition und der Regierung Merz I mit einem Innenminister Dobrindt hier eine sinnvolle Reform?

Die eine Seite führt Kulturkampf, die andere schreibt Petitionen

Ich übe gerne und oft Kritik am Instrument der Petition. Ich halte sie für Ausdruck eines untertänigen Bittstellerwesens, bei dem Bürgerinnen und Bürger um das Gehör und Wohlwollen des Staat und seines Institutionen bitten. Petitionen sind nahezu frei von Deliberation, Diskussion, Debatte. Sie nutzen nicht einmal in nennenswertem Maß zur Organisierung.

Erst vor einer Woche ärgerte ich mich über die Forderung „Keine Macht für Oligarchen: Bundesregierung endlich runter von X“, die bei zu allem Überfluss bei dem privaten Anbieter Campact platziert worden war. Sie wünscht, dass die Ministerial-PR gefälligst auch bei Mastodon gepostet werde. Oder anders: Die autoritative Wende soll sich nicht auf X beschränken. Die eine Seite führt also Kulturkampf, die andere schreibt Petitionen – vermutlich bald nur noch an die eine Seite.

Es ist grundsätzlich sicher schön, wenn das Vertrauen in die Demokratie und ihre Institutionen noch so ausgeprägt ist. Dass man aber offenbar nicht erkennt, wie im Fall des Selbstbestimmungsgesetzes inzwischen fünf Parteien (SPD, Grüne, FDP, CDU und CSU) die Interessen Betroffener missachten, sondern immer noch als Bittsteller gegenüber dem Staat auftritt, treibt mich zur Verzweiflung.

AfD will Petitionen stärken

Wer übrigens Petitionen schätzt, ist die AfD: Sie hat den Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Bürgerbeteiligung durch die Behandlung von Petitionen durch den Deutschen Bundestag (PetG) eingebracht, den ich hier nicht verlinke. Sie hat sicherlich ein Interesse an weitgehend passiven Bittstellern, deren unverbindliche Eingaben man willkürlich annehmen oder ablehnen kann.

Fediverse reactions