• Stefan Zweig – Die Welt von gestern

    Erinnerungen eines Europäers lautet der Untertitel dieses autobiografischen Buches.

    Von Stefan Zweig las ich bereits die biografischen Romane über Montaigne, Magellan und Fouché mit wachsender Freude an seinem etwas schwelgerischen, ausladenden Stil, den ich zu Beginn etwas gewöhnungsbedürftig fand.

    Seine Kindheit und Jugend im Wien der habsburger Zeit wird in einem Ausmaß als wunderbar und sorglos beschrieben, für die ich am liebsten das Wort bullerbüesk prägen würde.

    Diesem Stil bleibt Zweig in Die Welt von gestern treu. Seine Kindheit und Jugend im Wien der Habsburger Zeit wird in einem Ausmaß als wunderbar und sorglos beschrieben, für die ich am liebsten das Wort bullerbüesk prägen würde. Mit traumwandlerischer Leichtigkeit findet er zu Lyrik und Schriftstellerei und bahnt mühelos Kontakt zu berühmten Zeitgenossen in ganz Europa an.

    Gewollter Kontrast

    Das wirkt mitunter arg verklärend, was vielleicht auch als gewollter Kontrast zu der Zeit ab 1914 gedacht ist. Zweig blieb das Soldatentum erspart, aber seine Schilderungen dieser Zeit, ihrer Kultur und Politik sind umso erhellender – gleiches gilt für die Zwischenkriegszeit und den aufkommenden Faschismus.

    Es sind oft kleine Anekdoten und scheinbar randständige Vorkommnisse, denen Zweig Raum gewährt, stets erklärend, dass er diesen besondere Bedeutung beimisst, weil sie langsame und langfristige Prozesse und Veränderungen markieren.

    Einmal mehr ein ausgezeichnetes Buch. Stefan Zweig avanciert zu einem meiner Lieblingsautoren.

  • Ariel – Abgebrannt in Helsinki

    Neulich lästerte ich noch über die TV-Anstalt Arte, jetzt erfreue ich mich an den Aki Kaurismäki-Filmen in ihrer Mediathek. Begonnen wird mit Ariel – Abgebrannt in Helsinki.

  • John Scalzi – Old Man’s War

    Nachdem zu lesen war, dass Old Man‘s War eine Serie sei, die zudem lesenswert ist, notierte ich mir die erneute Lektüre, des ersten Bandes, den ich 2015 als E-Book gekauft und sehr wahrscheinlich dann auch gelesen habe.

    Erst als ich mir das Buch aus dem Kindle-Archiv fischte, realisierte ich, dass ich es im Kopf mit The Forever War von Joe Haldeman verwechselte, einer anderen Military SF-Geschichte. Das lese ich später einfach auch nochmal.

    Old Man’s War bedient das Boot Camp-Setting, bekannt aus Filmen wie Full Metal Jacket, einschließlich „training The Spartan Way, plenty of Physical Fitness Punishment, the obligatory Drill Sergeant Nasty“. Das Gimmick steckt im Titel: Die Rekruten sind alte Menschen um die 75, die in junge Körper versetzt werden, um für die Colonial Defense Forces der Menschheit gegen etliche martialische Alienvölker zu kämpfen.

    Warum das so ist, wird eher unbefriedigend erklärt. Gesorgt ist immerhin für Comic Relief während der Ausbildung und unser Protagonist erhält jede Menge Vergangenheit, die dann im letzten Drittel des Buches relevant wird.

    “No one likes an overachiever, Captain”

    Mein Problem mit Military-Stoffen ist stets dies: Wer im hochtechnisierten Krieg überlebt, hat meiner Überzeugung nach vor allem Glück. Ein Glückspilz ist aber ein langweiliger Protagonist. Also muss unser Held eben doch ständig alles besonders gut und besser als alle anderen können – ein richtiger Streber also.

    Aber: Flott und spaßig geschrieben ist das Buch allemal und als Nächstes gebe ich mir die Fortsetzung.

  • Immer noch keine automatische Fabrik

    Ein Text, den ich gerne schon gekannt hätte, als ich mich mit dem Industrie 4.0-Thema auseinandersetzen musste, ist „Die dritte Welle der »automatischen Fabrik« – Mythos und Realität semiotischer Maschinen“ von Prof. Dr. Peter Brödner – hier ein Link zum PDF.

    Denn die automatische Fabrik ist keine Innovation, sondern ein „wiederkehrende[r] Traum … von ewiger selbsttätiger Wertschöpfung“:

    • „Bereits 1950 hatte Norbert Wiener (1950) sehr genaue Vorstellungen davon, wie mittels »Sinnesorganen« und »Effektoren« sowie der »Rechenmaschine« als »zentralem logischen Gehirn« für »komplizierte Unterscheidungsprozesse« eine »automatische Fabrik« zu realisieren sei.“
    • „In den 1980er Jahren wurden unter dem Leitstern der »menschenleeren Fabrik« erneut gigantische F&E-Anstrengungen unternommen, um in Gestalt »wissensbasierter« (d.h. mit symbolischer »künstlicher Intelligenz« ausgestatteter), »computer-integrierter Produktion« (CIM) eine flexibel automatisierte auftragsgebundene Fertigung zu verwirklichen.“

    So lässt sich ein recht genauer Turnus von 30 Jahren feststellen, dessen dritter Peak sich gerade zu brechen scheint – nämlich wie bereits die Vorläuferwellen „an den Klippen widerspenstiger Materie und verkannter Realisierungsprobleme“.

    Von den Übertreibungen, Illusionen und dem kontrafaktischen Wunschdenken, das Physik mit Gesellschaft und Fähigkeiten mit Funktionen verwechselt, handelt der weitere Text. Lässt sich sicher ohne Weiteres auch alles auf den Smart City-Mythos anwenden.

  • Yuval Noah Harari – Sapiens

    Das habe ich auch schon mal gelesen, mit wenig Erinnerung daran. Am meisten interessiert mich die menschliche Frühgeschichte, die aber kaum mehr als die erste Hälfte des Buches ausmacht.

    Die Leistung Hararis, Geschichte, Politik, Wirtschaft, Kulturwissenschaft und noch ein geschätztes halbes Dutzend weiterer Wissenschaften in eine kurze Geschichte der Menschheit zu rühren, ist zweifellos beachtlich. Es liest sich halt nur wie ein Kinder- oder Jugendbuch – was auch diesem spezifischen Sachbuchstil geschuldet ist. Mein zwölfjähriges Ich hätte zwar nicht alles verstanden, wäre von Sapiens aber restlos begeistert gewesen.

    Meinen Plan, dieses Buch nochmal und im Anschluss dann Homo Deus zu lesen, habe ich damit erstmal verworfen.

  • Edwin Friedman – A Failure of Nerve

    Auch dieses Buch wird hier nur der Vollständigkeit halber aufgeführt. Zu viele Biologismen, zu wenig Soziologie.

  • 2020 musikalisch

    3922 Titel habe ich im Kalenderjahr 2020 laut meines last.fm-Profils gehört: Weniger als 2019, mehr als 2018. So wird das wohl bleiben: Musik muss sich auch bei mir zunehmend gegen alle Medienalternativen durchsetzen.

    Dabei war das neue Fiona Apple-Album sensationell gut und nimmt verdientermaßen den ersten Platz ein – allerdings mit nur 113 abgespielten Titeln. Das ist vielleicht auch ein langfristiger Trend: Ich höre zunehmend funktionale Musik, die mich bei der Arbeit oder Lektüre nicht „stört“, Ambient, Neoklassik von Max Richter & Co., oder Elektronik. Für Musik, die mich einnimmt und Aufmerksamkeit verdient, aber auch erfordert, bleibt wenig Zeit. Das ist schade.

    Weitere umwerfende Neuerscheinungen dieses Jahres waren spärlich: Das eine der diversen jüngst erschienenen Sault-Alben war sehr gut, Nation of Language ebenso, die neuen Veröffentlichungen von Gidge und Autechre waren ganz ok.

    Hier nun also mit unumstößlicher Genauigkeit die Top50 der meistgehörten Bands und Künstler im Jahr 2020:

    1Fiona Apple113
    2Guided by Voices100
    3Vittorio Guindani98
    4Radiohead92
    5Sault88
    6Cocteau Twins85
    7Max Richter81
    8Wire80
    9Autechre76
    10Boards of Canada64
    11Gidge59
    12Tocotronic54
    13Hildur Guðnadóttir52
    14Run the Jewels49
    15Billie Eilish47
    16Hans-A-Plast47
    17Fever Ray46
    18Nation Of Language44
    19Nihiloxica43
    20Friends of Gas42
    21Lightning Bolt39
    22Pet Shop Boys36
    23Sun Ra36
    24Gang of Four34
    25JARV IS…32
    26Kate Bush30
    27Die Sterne29
    28DJ Shadow29
    29International Music28
    30Oneohtrix Point Never28
    31Pixies28
    32The Knife28
    33The Beach Boys26
    34Aphex Twin25
    35Public Enemy25
    36Matthijs Kouw24
    37Hüsker Dü22
    38Karl Hector & The Malcouns22
    39Talking Heads22
    40CAPITAL BRA21
    41Do Make Say Think21
    42MVK21
    43Die Nerven20
    44James Krivchenia20
    45Kraftwerk19
    46Wolfgang Ambros19
    47Desmond Dekker18
    48Ego Ella May18
    49Norah Lorway18
    50The Cure18
  • Bücher 2020

    37 Bücher las ich im Jahr 2020 – eins davon sogar zweimal, also eigentlich 36. Ob das viel oder wenig ist, weiß ich nicht genau und es ist auch nicht sehr wichtig.

    Es war das Jahr des Nochmal-Lesens: Science Fiction von Le Guin, De Abaitua, Banks, Butler, aber auch Max Goldt habe ich nach vielen Jahren wieder gelesen.

    Sehr gut gefallen haben mir:

    Aus der (neuen) Science Fiction, die ich in diesem Jahr gelesen habe (The Last Day, Dark Matter, The Wall, The Last Human), hat mich leider nichts nachhaltig beeindruckt. Mal schauen, was die Jahresbestenlisten so bieten.

  • Alice Hasters: Was weisse Menschen nicht über Rassismus hören wollen aber wissen sollten

    Ein Buch, das ich schon längst hätte lesen sollen und nicht erst, nachdem gewisse Komödianten ihm zu Reichweite verhalfen. Gerade für Leute, die glauben, schon alles zu wissen und vieles richtigzumachen (ja, wie mich) eine dringend notwendige Kopfwäsche. Alltagsnah, schmerzhaft und viele ungeahnte Facetten über deutsche Kolonialgeschichte, Partnerschaft bis hin zu Sport beleuchtend/vertiefend. Außerdem mit einer exzellenten Literaturliste am Schluss.