Wie immer sieht das Wetter von drinnen schlimmer aus als es draußen ist. Morgens gut erfrischt bei leichtem Nieselregen angekommen, nachmittags sinnloserweise in voller Regenmontur einschließlich der grauenhaften Gamaschen losgefahren, ohne dass es nennenswert geregnet hätte.
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20 Jahre last.fm

Am 16. Dezember 2004 richtete ich mein last.fm-Profil ein, darüber gab die Seite bis heute Auskunft. last.fm war lange Zeit für mich die wichtigste Adresse im Netz, ein Meilenstein des Web 2.0, im Grunde meine Homepage.
Last.fm begleitete die Digitalisierung meines Musikkonsums über Jahre hinweg. Lange vor Spotify konnte man dort als zahlender Kunde verschiedene Radios hören. Die Empfehlungsalgorithmen auf Basis des eigenen Musikgeschmacks funktionierten für mich nie besonders gut (tun sie bei Spotify aber auch nicht). last.fm war neben allem auch Social Network, Konzertdatenbank, Launchpad für junge Bands und Homepage zur Selbstdarstellung für Musikbegeisterte.
Fragen, mit denen man als Nutzer rang, der kein belauschtes Stück Musik ungescrobbelt wissen wollte: Wie bringe ich einem iPod bei zu scrobbeln? Was tun, wenn ich Schallplatten höre? (Die Musik zeitgleich stumm digital mitlaufen lassen, natürlich.) Welche Android-App leistet das Scrobbeln am besten?
Dann setzte irgendwann Stagnation ein: Die Plattform verharrt seit Jahren auf ihrem derzeitigen Stand und scheint sich als Werbeplattform zu genügen. Ich wäre überrascht, würden in diesem Jahr noch annähernd soviele Tracks gescrobbelt wie vor beispielsweise zehn Jahren.
Was mich betrifft, so geriet Musik im Laufe der Jahre gegenüber anderen Medien (leider) in den Hintergrund, das Scrobbeln selbst wurde technisch aufgrund der wachsenden Zahl an Abspielmöglichkeiten, -gerät und apps immer aufwendiger und auch unwichtiger.
last.fm-Datenbank archivieren
Somit fällt mir der Entschluss nicht schwer, mein Profil nach exakt zwanzig Jahren einzustellen und zu löschen. Die Datenbank soll und wird nicht verschwinden, sondern vermittels des Tools Last.fm to csv archiviert, so dass ich sie selbst durchforsten kann, wann und wie ich will.
Mit dem Dienst „Soundiiz“ kann man außerdem Playlisten in die üblichen Musikplattformen wie in meinem Fall Tidal importieren. Das werde ich wohl nutzen, um die über 800 Loved Tracks aus last.fm rauszubekommen (Update: Hier ist die Tidal-Playlist).
Das letzte gesrcobbelte Stück wird An Opening von Bethan Kellough gewesen sein, gehört am 12. Mai 2023 um 17:30. Die Datenbank reicht nicht ganz bis 16. Dezember 2004 zurück: Der erste darin festgehaltene Track war 7 Days, 7 Weeks von dEUS, gehört am 30. Dezember 2005 gegen 13:30.
In den zwanzig Jahren bis heute habe ich 165.293 Songs mit last.fm erfasst, von 5.661verschiedenen Bands und Künstlern. Die zehn meistgehörten Songs waren
You Are a Runner and I Am My Father’s Son – Wolf Parade
Shine a Light – Wolf Parade
Dear Sons and Daughters of Hungry Ghosts – Wolf Parade
I’ll Believe in Anything – Wolf Parade
Such a Shame – Talk Talk
Modern World – Wolf Parade
Fancy Claps – Wolf Parade
We Built Another World – Wolf Parade
Start to Move – Wire
Grounds for Divorce – Wolf Parade(Ja, ich hatte eine exzessive Wolf Parade-Phase)
Die Top 10 Bands und Künstler:
- Modest Mouse 2.922 scrobbles
- Wolf Parade 2.074
- Wire 1.907
- Radiohead 1.784
- Tortoise 1.680
- Guided by Voices 1.662
- Sufjan Stevens 1.645
- Sonic Youth 1.567
- Liars 1.501
- Deerhoof 1.339
Ob das Internet noch einmal so gut wird, wie in den Jahren nach 2004? Ich würde mich sehr darüber freuen. Jetzt klicke ich hingegen auf Delete User Account flowbackwards.
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The Great Bay
Andreas Reckwitz schreibt anlässlich seines Buches Verlust in den aktuellen Blättern über die reparierte Moderne. Darin der Verweis auf The Great Bay: Chronicles of the Collapse von Dale Pendell, das Reckwitz als eine spekulative Soziologie bezeichnet. Folglich gab ich dem Kaufimpuls nach.
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Nachrichtenembargo

Mit höchster Konzentration vermeide ich alle Keystrokes und Klicks, die mir Nachrichten, Eilmeldungen, politische Memes und dergleichen ins Sichtfeld rücken könnten. Ich möchte mich mit dieser Präsidentschaftswahl frühstens morgen früh, und auch dann erst nach einer Tasse oder zwei Tassen Kaffee beschäftigen.
Zu anstrengend habe ich die Tage und Wochen vor vier Jahren in Erinnerung, die mit der ausgesprochen zähen, weil ergebnisarmen Wahlnacht begannen und mit dem Grauen des 6. Januar endeten, das ich voller Gewissheit, es stünde ein amerikanischer Bürgerkrieg bevor, am Rechner verfolgte.
Gimmick
Politisches Interesse, besser noch: politisches Interessiertsein, wohnt mir immer noch inne. Ich habe den Stoff, der ja eigentlich für jedermann sein sollte, studiert, erlernt, mich daran gewohnt und halte ihn – das wohl vor allem – für unterhaltsam. Der Prozess der Umkehrung, nennen wir ihn De-Programming, ist langwierig und anstrengend.
Ich höre das Oktober-Feature der besten auf Bandcamp erschienenen Ambient-Tracks, kuratiert von Ted Davis. Es beginnt mit einem vierzigminütigen Stück von William Basinski. Das ist der Mann mit den Disintegration Loops, die ich sehr schätze, deren Bekanntheit wohl aber vor allem darauf zurückzuführen ist, dass sie im Kontext des elften Septembers erschienen ist. Das scheint typisch für diese Art von Musik: Selten kann sie für sich stehen, sondern muss immer mit irgendeinem Gimmick versehen sein. Jana Winderen, die seltene Unterwasserarten per Hydrophon aufnimmt, Found Sound in den Ruinen rund um Tschernobyl und dergleichen.
geronnene Zeit
Ich lese die aktuelle Ausgabe des Leipziger Literaturmagazins Edit. Das Editorial beginnt mit dem schönen Satz: Die Gegenwart sperrt sich gegen das Wort. Das liegt daran, dass sie den Charakter eines Punktes in der Zeit hat, mithin verschwindet, je stärker man sich auf sie fokussiert. Letztlich ist sie nur die Schwelle zwischen Vergangenheit und Zukunft. So kann man sich eine zukünftige Gegenwart (oder eine gegenwärtige Zukunft) vorstellen, oder an eine vergangene Gegenwart erinnern. Schreibe ich jedoch über die Gegenwart, was ich in der Tat gerade tue, dann ist sie schon vergangen, während ich noch schreibe, und noch weiter vergangen, wenn Sie dies lesen.
In der Politik, das beschäftigt mich, gilt die weitestmögliche Erstreckung der vergangenen Gegenwart in die Zukunft. Die Art wie wir im zwanzigsten Jahrhundert gelebt haben, oder meinen gelebt zu haben, darf nicht enden. Das ist implizites Programm weiter Teile der deutschen Parteienlandschaft und spielt zweifellos auch in den Vereinigten Staaten von Amerika eine Rolle. Die zukünftige Gegenwart ist eine, die mit Verlust assoziiert wird. Sich dagegen zu sperren ist keine irrationale Reaktion.
William Basinskis Stück September 23rd ist, seinem Genre weitgehend entsprechend, ähnlich geronnene Zeit. Veränderung findet darin allenfalls gletscherhaft statt. Die Aufnahme ist überdies, lese ich, aus dem Jahr 1982 und sei nun vermittels der Cut-up Technik ver- oder zerarbeitet worden, um ihren gegenwärtigen Charakter zu erhalten.
Kausalität sei
Die gegenwärtigen Zukünfte unterscheiden sich maßgeblich darin, ob die eine oder die andere Person US-Präsident geworden sein wird. Daraus leiten sich zahlreiche weitere zukünftige Gegenwarten ab, etwa die momentan tobenden Kriege betreffend, oder auch die wirtschaftliche Entwicklung. So ist alles eine Abfolge von Ursachen und Wirkungen, die ihrerseits Ursachen werden. Der initiale Fehler liege schon in der US-Verfassung begründet, wie ein gewisser Sanford V. Levinson in einem Interview mit dem Verfassungsblog bekanntgab, das ich vor acht Jahren bookmarkte.
Kausalität sei, schrieb ich mal in eine Notiz, ein Schema für Beobachtungen zweiter Ordnung.
Ich beobachte die Bundesregierung, wie sie unterschiedliche Höhen von Transfergeldern unterscheidet und bezeichnet, dass sie höher sein müssten, um als Ursache der Senkung von Armut zu wirken. Die Opposition in Form der CDU/CSU streitet das gar nicht ab, gibt aber eine weitere, ungewollte Wirkung zu bedenken, nämlich, dass sich Arbeit dann nicht mehr lohne. Die Opposition in Form der Linkspartei streitet die Wirkung der Erhöhung in der vorgeschlagenen Form ab, die zu gering sei. Aus ihrer Sicht müsse eine ganz andere viel höhere Ursache für die gewünschte Wirkung eingesetzt werden.
Die Kopplung von Ursache und Wirkung verkopple zugleich die Vergangenheit (Hartz IV) mit der Zukunft (Bürgergeld) in der Gegenwart. Sie gibt der in Parteien populären Fiktion vom „Gestalten“ und einer tatsächlich planbaren Zukunft Ausdruck. Das fortwährende Scheitern dieser Planungen, jüngst etwa des 1,5 Grad-Ziels, wird in das fortwährende politische Weiterarbeiten eingewoben: Bangemachen ist nicht, dicke Bretter bohren, kleine Schritte, ruhige Hand, Woche der Entscheidung. So sind die heutigen Lösungen auf die Probleme von gestern zugleich die Probleme von morgen.
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hearing things
Stellt sich raus, dass genau das hier passiert ist, nämlich mit Hearing Things.
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zttlkstn
Vor fast zehn Jahren wurde Niklas Luhmanns Zettelkasten in der Bielefelder Kunsthalle ausgestellt. Muss ich oft dran denken, weil die Zettelkasten-Technik – und mit ihr NL – jüngst in der Personal Knowledge Management-Szene sehr populär ist.





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The City & the City von China Miéville
The City & the City ist eine grandiose Satire auf die Nation, ihren Nationalstaat, dessen Grenzen und deren unbedingte Wahrung und die ganze Absurdität dieses Konstruktes, die hier, in ein wahrhaft fantastisches Setting versetzt, auf die Spitze getrieben wird.
Zugleich handelt es sich leider auch um eine Kriminalgeschichte, ein police procedural, und wieder einmal bestätigt sich, warum ich dieses Genre so wenig leiden kann. Schlussendlich nämlich gipfelt alles in einem epischen Infodump, wenn der Inspektor den Fall endlich durchschaut hat und dem Täter (und den Lesern) erklärt, was er wann wie warum getan hat.
Dafür gäbe es einen Punkt Abzug, würde ich hier noch Punkte vergeben. Unter dem Strich bleibt aber, dass Die Stadt & Die Stadt eine der besten Miéville-Stories ist, die ich kenne.











