• Ancora tu

    Eric Pfeil schrieb bis vor Jahren sehr klevere Kolumnen über Musik, Bands und Künstler für die FAZ. Die habe ich sehr gerne gelesen. Als er damit aufhörte, verlor ich ihn aus den Augen.

    Vor ein paar Tagen stieß ich – ich glaube über den Perlentaucher – auf ein Interview, welches das Kaput Magazin (das ich irritierenderweise mit dem Katapult Magain verwechselte) mit ihm anlässlich eines von ihm verfassten Buches führte. Wie der Titel „Azzurro. Mit 100 Songs durch Italien“ unschwer verrät, handelt es von italienischer Musik, vorwiegend Popmusik.

    Das ist nun ein Genre, das ich bislang eher aus der Distanz verfolgt habe. Ich hatte in den vergangenen Jahren ein mildes Interesse verspürt, allein, mir fehlte der Zugang. Den hat Eric Pfeil mit diesem Interview (das Buch werde ich lesen) eröffnet. Nahezu alle darin eingebundenen Videos und empfohlenen Songs sind großartig. Am allergroßartigsten ist jedoch dieses Lied, Ancora Tu von Lucio Battisti.

    Mir war vollkommen unmöglich, dieses Lied zeitlich einzuordnen. Es könnte so 2021 oder 1982 oder irgendwann dazwischen erschienen sein. Tatsächlich ist es von 1976.

  • Adam Przeworski – Krisen der Demokratie

    Adam Przeworski – Krisen der Demokratie

    Adam Przeworski zählt wohl zu den hochkarätigeren noch tätigen Politikwissenschaftlern. Der Zunft also, die sich in den vergangenen Jahren wohl häufiger gefragt hat, was eigentlich gerade los ist – und die aus meiner Sicht nicht besonders gut darin war, Antworten zu liefern.

    In Krisen der Demokratie unternimmt Przeworski einen durchaus gelungenen Versuch. Nah am Forschungsstand, aber auch mit angemessen kritischer Distanz untersucht er, was Demokratien stabilisiert und destabilisiert. Die Antwort in Kurzform: It’s the economy, stupid.

    Das finde ich ausgesprochen wohltuend, weil ich die Forschung zur Konsolidierung von Demokratie immer recht nahe an Wenn der Hahn kräht auf dem Mist empfunden habe: Eine Vielzahl von Dimensionen, von Kultur und Religion bis hin zu Klima und Geographie, könnten Einfluss auf den Bestand einer Demokratie haben, müssen das aber nicht. Die einzige wirklich belastbare Kategorie sei die wirtschaftliche Entwicklung und der Grad an Verteilungsgerechtigkeit, wie Przeworski unter Bezug auf zahlreiche empirische Befunde nachweist. Und um beides – Entwicklung und Gerechtigkeit – sei es in den vergangenen Jahrzehnten schlecht bestellt:

    Trotz Kriegen und Wirtschaftskrisen gab es in den vergangenen 200 Jahren keinen einzigen 30-Jahres-Zeitraum, in dem die Durchschnittseinkommen sanken. Wenn die Menschen heute die Zukunftsaussichten ihrer Kinder als schlecht einschätzen, könnten wir es also mit einer historisch einmaligen Verschiebung zu tun haben.

    Auch wenn der Autor diese These vielfach belegt, so nimmt er immer auch wieder kritische Distanz ein: Wir wissen nicht, ob eine Kausalität vorliegt, in welche Richtung sie weist und welche Drittvariablen sie überformen. In besonderer Weise kommt es natürlich auf handelnde Personen an. Aber auch das weiß man immer nur hinterher.

    So ist Krisen der Demokratie eine lohnenswerte Kurzstudie und Politikwissenschaft im besten Sinne: Sich nicht im Labyrinth der Empirien mit zweifelhafter Aussagekraft verirrend, mit klaren Begrifflichkeiten und eben kritisch.

    Ein wenig erstaunte mich das vielfach schlechte Lektorat. Angefangen bei in die Zwischenüberschrift gerutschten Absätzen, verunglückten Quellenangaben wie „Autor et. al. (1997)“ und schlichten Rechtschreibfehlern schien der Band in der mir vorliegenen Auflage doch sehr mit heißer Nadel gestrickt.

  • Dietrich Bonhoeffer – Widerstand und Ergebung

    Wer war eigentlich Dietrich Bonhoeffer, nach dem in Westdeutschland wohl jedes zweite Gemeindehaus benannt ist? Kirchenmann, Widerstand – das wusste ich.

    Ob diese Sammlung von Briefen und anderen Texten aus der Untersuchungshaft Bonhoeffers bis zu seiner Hinrichtung die Frage wirklich beantwortet, mag wiederum fraglich sein. Schließlich mussten die Briefe der Zensur genügen, zudem war Bonhoeffer auch erkennbar bemüht, seine Familie zu beruhigen, ihr „das Herz zu erleichtern“, wie Eberhard Bethge es im Vorwort nannte.

    Dennoch gewinnt man im Verlauf der Lektüre Einblicke in Bonhoeffers tiefen christlichen Glauben und seine darauf ruhende Gelassenheit trotz widrigster Umstände. Auch, wenn ich die theologischen Fachausführungen nur staunend überfliegen konnte, ein eindrucksvolles Buch.

  • Iain M. Banks – Matter

    Eigentlich sei „ja jeder Culture-Band, den man gerade liest oder gelesen hat, der beste“ schrieb ich, nachdem ich Look to Windward gelesen hatte. Ein Eindruck, den ich nach Matter revidieren muss. Das Buch ist lang, mitunter langweilig, das Ensemble an Figuren und Völkern vielfach redundant und kaum zu unterscheiden. Dass ich es dennoch abgeschlossen habe, spricht einmal mehr für Banks‘ herausragend guten Schreibstil.

  • Wandern: Der Drei Türme-Weg in Hagen

    Inzwischen ist es schon eine Tradition, dass wir zu Ostern ein Auto mieten, um damit zu unseren Müttern in Ostwestfalen resp. Göttingen zu fahren. Wenn dann noch ein Tag übrig ist, so wie heute, unternehmen wir überdies einen kleinen Ausflug im Ruhrgebiet, den wir ohne Auto nicht so ohne Weiteres unternehmen könnten.

    Aus teils auch familiären Gründen fuhren wir nach Hagen, wo sich der Drei Türme-Weg anbot. Zwölf Kilometer mit durchaus sportlichen Höhenmetern auf angenehmem Untergrund entlang der typischen Forstwirtschaftswege.

    Anstatt irgendwo einzukehren – wir fürchteten österlichen Andrang – kauften wir bei der Tankstelle, die wir zwecks Betankens des Mietautos vor dessen Abgabe ohnehin anfahren mussten, Snacks und Getränke, die anschließend auf dem Balkon eingenommen wurden.

    Da kann man nicht meckern.

  • Jane Deasy – Notes from the Bath

    Nach Mouth of Sound schon die zweite Veröffentlichung mit – ich zitiere mich selbst

    Zwei sehr schöne(n), überlange Ambient-Tracks – natürlich gekauft bei Bandcamp.

  • Heinrich Mann – Im Schlaraffenland

    Der erste Teil einer H. Mann-Gesamtausgabe, die ich mir auf den Kindle gezogen habe. Andreas Zumsee geht nach Berlin und stößt in die feine Gesellschaft vor. Die findet ihn zunächst interessant und lässt in dann fallen.

    Als Gesellschaftssatire macht Im Schlaraffenland durchaus Spaß, vor allem, wenn man Andreas‘ maßloser Selbstüberschätzung beiwohnen kann. Die deutlich antisemitischen Ankläge und ebenso gezeichneten Figuren verübeln die Lektüre jedoch erheblich.

  • Christopher Clark – The Sleepwalkers

    Wie Europa 1914 in den Krieg zog: Ein umwerfendes Panorama der internationalen Beziehungen vor dem ersten Weltkrieg.

    Eindrucksvoll ist nicht nur der Umfang der überlieferten Korrespondenzen, Telegramme, Protokolle, Tagebücher und sonstigen Veröffentlichungen, eindrucksvoll ist auch die Akribie, mit der Clark diese Quellenlage bewertet und eingeordnet hat; einschließlich aller Leerstellen, Unklarheiten oder schlicht unerklärlichen Entscheidungen.

    Ich hatte das Buch im Januar ausgeliehen und wohl geglaubt, es könne bei der Bewertung der damaligen Lage in irgendeiner Weise helfen. Die Lage hat sich inzwischen auf dramatische Weise verändert und jegliche dilettantischen Einschätzungen oder Bewertungen meinerseits verbieten sich.

  • Portals: Energostatic (For Ukraine)

    Ein Sampler des Netlabels Energostatic, Erlöse gehen zugunsten von Save The Children „and their specific activities supporting Ukraine at this time“. Die Hintergründe sowie die auf der Kompilation vertretenen Künstler werden hier vorgestellt.

    A big thank you to label owner Marian for allowing this project to happen as he deals with life in Kyiv right now, the artists for their participation, and Rafael Anton Irisarri for kindly providing his mastering services.

    Der Sampler kann auf Bandcamp gehört und per Name your Price erworben werden.

  • Louis-Ferdinand Céline – Reise ans Ende der Nacht

    Hinrich Schmidt-Henkel leitet sein Essay zur Übersetzung dieses Buches (übrigens hochinteressant) so ein:

    Louis-Ferdinand Céline zwingt jeden Leser in die paradoxe Urteilsspannung zwischen Bewunderung für den Stilisten, den Revolutionär der Literatur, und Erschrecken über die blindwütige, menschenverachtende Hetze, deren er fähig war.

    Ich habe schon mehrmals vergeblich versucht, die Reise ans Ende der Nacht zu Ende zu lesen. Erst mit diesem, dritten, Versuch ist es gelungen. Nicht nur wegen der menschenverachtenden Hetze. Es gibt auch darin Passagen, die gerade wegen ihres Weltekels lesenswert sind. Aber das Buch ist vor allem in seiner zweiten Hälfte mitunter auch einfach langweilig; mit dem wirklich umwerfenden Abschluss dann wieder lohnenswert, aber eben zäh.

    Wäre „Cancel Culture“ real, könnte sie sich an Céline regelrecht abarbeiten; sicherlich tun das auch einzelne. Ich schätze dazu die Haltung von Philip Roth:

    Um die Wahrheit zu sagen: Mein Proust in Frankreich, das ist Céline! Er ist wirklich ein sehr großer Schriftsteller. Auch wenn sein Antisemitismus ihn zu einer widerwärtigen, unterträglichen Gestalt macht. Um ihn zu lesen, muss ich mein jüdisches Bewusstsein abschalten, aber das tue ich, denn der Antisemitismus ist nicht der Kern seiner Romane. (…) Céline ist ein großer Befreier.